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Bertolds
Erinnerungen
(* 10.11.1939)
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Am 10.11.1939
wurde ich als lang ersehntes Kind meiner Eltern in Pankow
geboren. Das Licht der Welt erblickte ich im Maria-Heimsuchung-Heim im ersten Stock, von der
Straßenseite her gesehen das letzte Zimmerfenster rechts,
das mir meine Mutter später des öfteren zeigte, wenn
wir mit der Straßenbahn nach Französisch-Buchholz
fuhren.
Großmutter Adelheid Schmidt
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Meine Großmutter Adelheid Schmidt
wurde als Tochter des Schmiedemeisters Schmidt und seiner Ehefrau am
27.01.1896 geboren.
Zu Kaisers Geburtstag am 27.01.1913 war Adelheid eingeladen und lernte
dort einen Herrn Rothschild kennen.
Am 31.12.1913 war aus dieser Verbindung meine Mutter, Edith Schmidt,
entstanden.
Die Familie zog zur Geburt von Berlin extra nach Bad Warmbrunn, in der
Geburtsurkunde meiner Mutter stand als Vater "Unbekannt" auf Wunsch des
Erzeugers.
Als die Eltern von der Schwangerschaft erfuhren,
beschlossen sie des guten Rufes wegen
Berlin zu verlassen und ins Riesengebirge zur Entbindung
von Adelheid zu fahren. Nach der Geburt zogen sie nach
Frankfurt am Main, wo Edith als kleiner
Nachkömmling der Schmiedemeister-Eheleute
und als Adelheids Schwester aufwuchs.
Nach dem fünften Geburtstag zog die nun vierköpfige
Familie wieder nach Berlin-Pankow, wo man nun mit
Erstaunen erfuhr, dass die Eheleute während ihrer
Abwesenheit von Berlin noch eine kleine Tochter Edith
bekommen hatten.
Aber so ganz scheint der Kontakt zu Ediths Vater nicht
abgebrochen zu sein, denn auf den Kinderfotos sieht man
die kleine Edith immer von Kopf bis Fuß bestens
gekleidet. Wegen ihres dunklen Teints und ihrer dunklen
Haarpracht hatte man sie immer für ein kleines
Zigeunermädchen gehalten.
Meine Mutter erzählte mir, dass ihr Vater aus "gutem Hause" stamme,
meine Mutter aber nicht heiraten durfte.
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Vater (links) von Edith
Schmidt mit
Bruder |
Mutter von Edith Schmidt
(Adelheid
Schmidt) |
Erst im Mai 2020 erfuhr ich von meiner Cousine, dass mein Großvater ein
"Rothschild" sei,
was eine DNA Analyse über MyHeritage bestätigte.
Nun möchte ich gerne wissen, welcher Rothschild mein Großvater
ist.
Berthold Ernst
Bruno Jetschke wurde am 30.06.1904 in Berlin geboren. Er
war das zweite Kind des gelernten Bäckers und Schneiders
Berthold Jetschke, der uns die Familiengeschichte in
seinen Erinnerungen auf lebhafte Weise
überliefert hat.
Holdi, wie man ihn nannte, war ein kleiner Junge, etwas
verschlossen und leider etwas kränklich. Das lag wohl
auch an der schlechten Ernährung, denn die Eltern
konnten ihren zunächst zwei Kindern - und später drei
nicht viel bieten. Die Zeiten im 1. Weltkrieg und
danach waren nicht dazu angetan, stämmige Burschen
heranwachsen zu lassen. Lotte war die älteste Schwester,
Elfriede der Nachkömmling.
Holdi war in der Schule sehr fleißig, seine
Interessengebiete waren Englisch und Rechnen. So ging er
nach Abschluß der zehnten Klasse in verschiedene Firmen,
die ihren Hauptsitz in England oder Amerika hatten, um
seine Sprachenkenntnisse zu vervollständigen.
In der Freizeit wurde musiziert im Pankower
Orchesterverein, wo man zusammen mit Willi Michalak, dem
späteren Stiefvater von Edith, die Hausmusik pflegte.
Willi Michalak kam aus Polen, machte in Deutschland
seinen Maschinenbau-Ingenieur, wobei Adelheid seine
schriftlichen Arbeiten erledigte. Da Willi Michalak neun
Jahre jünger war als Adelheid und daher auch nur neun
Jahre älter als Edith war, hätte er altersmäßig
besser zu Edith gepasst als zu Adelheid.
Dies bemerkte natürlich seine inzwischen zur Ehefrau
gewordene Adelheid mit Argusaugen.
So versuchte Adelheid, ihre kleine
Nebenbuhlerin so schnell wie möglich zu
verheiraten, um sie aus der Wohnung zu haben.
Holdi hatte in der Zeit gerade einen kleinen Laden in
Potsdam eröffnet und wurde deshalb als
Selbständiger der Edith so schmackhaft
gemacht, dass sie der Mutter zuliebe die Heirat mit Holdi
einging.
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Edith und
Berthold Jetschke
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Allerdings
prallten hier die unterschiedlichsten Temperamente
zusammen, wie es schlimmer gar nicht sein konnte. Edith
war ein Treibauf, die am liebsten mit ihren Freundinnen
unter den Linden bummeln ging, Cafès besuchte, für
Schauspieler und Schauspielerinnen schwärmte und am
Wochenende lieber mit Elfriede und ihrer ebenfalls
jüngeren Freundin Renate auf dem Tegeler See paddeln
ging, obwohl sie erst mit 50 Jahren das Schwimmen lernte.
Holdi war eher in sich gezogen, hatte die Musik als Hobby
und träumte von Wochenendgarten, Fischen und
Schildkröten. Er war in sich gekehrt, seine Kindheit
hatte ihn zu sehr geprägt.
Sein Vater hatte ein Verhältnis mit der Frau seines
besten Freundes. Das Ehepaar wohnte in Alt-Moabit und
hatte einen Laden auf dem Wedding in der Sprengelstrasse.
Als Vater Berthold auf Kur war, wollte Holdi Tante Alma
in der Sprengelstrasse im Laden besuchen. Als er dort nur
den Ehemann antraf, fragte er den Onkel nach Tante Alma.
Das weißt Du nicht, sie ist doch mit Deinem Vater
auf Kur, entgegnete der Onkel.
Holdi hatte dies wohl nie seinem Vater vergessen können,
hing er doch sehr an seiner Mutter.
Als seine über alles geliebte Mutter starb, hatte sein
Vater recht bald wegen einer zweiten Ehefrau inseriert (siehe
Opas Erinnerungen) und bald wieder geheiratet. Da brach
wohl für ihn eine Welt zusammen. Allerdings muss man
meinem Opa zugestehen, dass diese Frau, Erna Jetschke (geborene
Bull), sehr gut zu ihm passte und ihn hingebungsvoll bis
zu seinem Tod pflegte.
So war es geradezu schicksalhaft, dass meine Mutter schon
in der Hochzeitsnacht am 01.04.1932 wieder meinen
späteren Vater verlassen wollte. Insbesondere für die
Praktiken meines Vaters zur Empfängnisverhütung hatte
meine Mutter überhaupt kein Verständnis.
1936 zogen meine Eltern nach Berlin-Pankow, Sellinstrasse
7 und eröffneten eine Hinz & Küster-Filiale
in der Kissingenstrasse, ein
Kolonialwarengeschäft, da es dort Kaffee und
Tee und andere nette Sachen aus fremden
Ländern gab.
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Meine Mutter
stand in der Frühe auf, um den Laden zu öffnen. Schnell
hatte Sie viele nette Kunden werben können, so dass der
Laden florierte. Holdi blieb gerne länger im Bett liegen.
Edith rief dann ein paar Mal vom Laden in der Wohnung an:
Holdi, wo bleibst Du denn ?, war ihre oft
zitierte vorwurfsvolle Frage an meinen Vater. Gegen 11.00
Uhr vormittags kam dann mein Vater in den Laden.
Von meiner
Mutter gewollt, kam ich im 7. Ehejahr endlich auf die
Welt, nachdem meine Mutter Jahre vorher eine Fehlgeburt
hatte. Leider ist mein großer Bruder, nach
dem ich mich ein Leben lang sehnte, nichts geworden.
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Edith,
Bertold, Berthold III. |
Im
Kinderbettchen, Foto:Kopp |
Erna,
Bertold, Berthold II.,Oberschöneweide 1940 |
Über dem
Laden wohnte die Freundin Renate, deren Familie aus dem
Harz nach Berlin gezogen war.
Renate und Edith schwärmten in den Kriegsjahren für
einen gut aussehenden Fliegeroffizier, namens Ulli.
Als Ulli von einem Feindflug nicht mehr zurückkam,
heulten beide Mädels um die Wette.
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Im Umfeld,
eine Nebenstrasse weiter, wohnte Frau Martha
Werth, eine rüstige Dame, zierlich und eines
aufrechten Ganges. Sie wohnte vom Laden aus
betrachtet um die Ecke, war Jahrgang 1868
(da spielte man in Amerika noch mit den Indianern)
und Fabrikantenwitwe mit einem großen, vornehmen
Bekanntenkreis aus der Schmargendorfer Gegend. Es
gab hierunter eine Nichte ihres Mannes - eine
unvergessliche Person wegen ihres zu großen
Hutes. Sie hatte eine fantastische Wohnung in der
Bleibtreustrasse, einer Seitenstrasse des
Kurfürstendamms und sprach immer in der
vornehmsten Weise mit ihrer Tante, wie man es
eher im Theater vermutete, von TANTE
MARTHA. |
Martha Werth
kam als junges Mädchen "vom Lande" aus Malchin
in der Uckermark in die Stadt, fing bei einer
Herrschaft als Dienstmädchen an und
versuchte, wie alle hübschen Mädels, einen Aufstieg aus
den niederen Kreisen zu erreichen.
Da ein vornehmer junger Mann des öfteren zu ihrer
Herrschaft kam, war es ihr möglich, das
Interesse des ihrer Meinung nach vermögenden Herrn auf
ihre Person zu lenken, was ihr auch glückte, denn der
Herr Werth hielt um die Hand an, die sie ihm freundlich,
aber diskret entgegenstreckte.
Mit 43 Jahren war Sie Witwe und konnte es auch ohne Mann
dank der geerbten Hinterlassenschaften aushalten.
Als Muttelchen (schlesisch), die geliebte Oma
meiner Mutter starb, kam Frau Werth in den Laden und
sagte: Frau Jetschke, jetzt, wo doch Ihre Oma
gestorben ist, könnte ich doch Ihre Oma werden.
Ab dem Moment war es unsere Oma Werth. Mit 80 Jahren (1948)
schneiderte sie mir noch einen Pyjama und fuhr mich im
Kinderwagen auf der Kissinger Promenade spazieren.
Sie hatte grOOße
Ohren, an denen immer teure Brilliantohrringe baumelten.
Diese müssen so schwer gewesen sein, dass die
Ohrläppchen immer länger wurden.
Das Wohnzimmer der kleinen Wohnung war hübsch möbliert.
Links von der Wohnzimmertür stand ein Vertiko, ein 2/3
hohes Schränkchen mit geschnitztem Aufsatz und
verzierten Türen. Obe auf standen wertvolle Porzellan-Miniaturen
aus Meißen. Ein runder Tisch mit schwerer, gestickter
Tischdecke, herrliche Stühle und eine ausziehbare
Fransenhängelampe begrüßten einen, sobald man in den
immer etwas dunklen Raum eintrat.
Ein weiteres Schmuckstück war die Chaiselonge, mit einem
rotbraunen Stoffbezug, der an Bartstoppeln erinnerte.
Täglich nahm Oma Werth ihre Brennschere, über einer
Gasflamme vorsichtig erhitzt, um in ihr silberblondes
Haar Wellen einzubrennen. Dann roch es manchmal etwas
nach verbranntem Haar, wenn der Brennstab mehr Hitze
erhalten hatte als für die Haare erträglich war. Wenn
der Oma Werth etwas nicht passte und das kam recht
oft vor räusperte sie sich in vornehmster Weise
mit einem Öh,öh,öh,öh.!
Die
Sommermonate verbrachte ich wegen der Bombennächte in
Berlin bei meiner Oma Adelheid und den Kindern (fünf
Tanten und ein Onkel);
das jüngste, Doris, kam nach mir auf die Welt.
Im grossen Garten in Dessau-Süd, ehemals Langfuhrer Weg,
konnten wir Kinder wunderbar miteinander spielen.
Ich lief am liebsten mit einer Geldtasche herum, in der
ich fleißig Spielgeld und manchmal auch Reichsgroschen
sammelte.
Meine Oma Adelheid war für mich die
Muttigeworden, weil Ihre Kinder sie so riefen
und meine Mutter wurde die Mami. Willi
Michalak, men Stiefopa wurde Vati. Willi
Michalak hatte eine Anstellung bei den Junkers-Flugzeugwerken
erhalten und arbeitete an der legendären Ju 52.
An die Bombennächte kann ich mich noch sehr gut erinnern,
weil ich es als störend empfand, wenn mich meine Mutter
auf dem Arm tragend in den Keller verfrachtete, der in
der Sellinstrasse nun wirklich kein Luftschutzkeller war.
Das Haus ragte im Untergeschoss zur Hälfte aus dem Boden,
so dass der Keller sicherlich keinem Bömbchen hätte
standhalten können. Aber wir hörten deshalb die heulend
ankommenden Bomben, die in der Nachbarschaft ein Haus
trafen, umso deutlicher.
Meine Mutter hat mich nur sehr ungern in den Keller
getragen, weil sie Gottvertrauen hatte und sich nicht
vorstellen konnte, dass unsere Wohnung hätte getroffen
werden können.
Meine Eltern mussten den Laden in der Kissingenstrasse
1942 aufgeben, da es nichts mehr aus den
Kolonien gab.
Ein paar Büchsen Libby-Kondensmilch wurden aber für
eventuelle schlechte Zeiten zur Seite geschafft.
Mein Vater wurde zur Wehrmacht (Bodenpersonal Luftwaffe)
eingezogen und kam über Posen, Mogilew Minsk
und Smolensk
nach Südtirol
auf die Seiser Alm.
Hier wurden die Anflüge der allierten Bomber nach
Deutschland gemeldet. Mein Vater hoffte jedes Mal, dass
diese nicht hre Bombenlast über Pankow abwerfen würden.
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In Posen
1941
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Mogilew,12/1942
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Auf der
Seiser-Alm
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Südtirol 1943/1944 |
Mit nur einem
Mann war meine Mutter nicht ausgelastet. In den Laden kam
eines Tages ein älterer Herr, der meine Mutter unbedingt
vor meiner Geburt porträtieren wollte. Es sollte ein
schönes Bild werden, für den Fall, dass meiner Mutter
bei der Geburt etwas zustoßen würde. Es war
Ottchen Kulka, ein sehr guter Maler, der
meinen Eltern viele schöne Aquarelle geschenkt hat.
Sicherlich war er für meine Mutter nicht nur der Maler,
sie führten tiefsinnige Gespräche, die zumeist im Satz
von Ottchen endeten: Edithchen, je
weniger Du am Arsch zu baumeln hast, umso besser.
Er meinte damit, man solle sich nicht so viel Krimskram
anschaffen, der nicht glücklich machen kann. Er war ein
Lebenskünstler.
Eine anderes Mal kam ein stattlich aussehender Herr, Hans
Riekenberg, Jahrgang 1888, als Handelsvertreter der
Kaffeefirma Hinz & Küster zu meinen
Eltern in den Laden. Schnell waren meine Eltern mit
diesem seriös wirkenden Herrn befreundet. Als dieser
Herr 1941 Witwer wurde und nicht in den Krieg wie mein
Vater ziehen musste, wurde er von meinem Vater gebeten,
doch ein wenig auf Edith aufzupassen, so lange mein Vater
an der Front sei. Mein Vater war wirklich der Meinung,
meine Mutter könne sich nicht in den 25 Jahre älteren
Herrn verlieben.
Aber zumindest durfte ich schon einmal Onkel
Hans zu ihm sagen.
Im Juli 1943 und Juli 1944 fuhr Onkel Hans
mit meiner Mutter und mir in das kleine Örtchen Horst an
der Nordsee, jetzt im polnischen Teil westlich von
Kolberg gelegen. Wir starteten am Stettiner Bahnhof (nach
dem Krieg Nordbahnhof) und fuhren mit der Eisenbahn über
Stettin bis Gryfice (Greifenberg). Dort stiegen wir in
die Schmalspurbahn nach Horst (Niechorze) um. Diese
Bahnlinie wurde am 01.07.1896 eröffnet.
Vor einigen Jahren fuhr ich anläßlich einer Weser-Radtour
auf der Schmalspurbahn Bruchhausen-Vilsen, in einem Waggon, der früher die
Strecke Horst -Kolberg fuhr.
Zwei Dinge fesselten mich an unserem Ferienort; eine
Kirche, die langsam von der Brandung in die Ostsee
gerissen wurde und ein Rudel Schweine, das auf dem
Kirchhof respektlos umhertanzte.
Einmal sahen
wir einen großen Schlachtkreuzer, der vor Horst auf der
Ostsee ankerte, ein anderes Mal gingen die Hitler-Jungen
mit einer Handsirene heulend am Strand entlang, um die
Menschen vor herannahenden Flugzeugen der Russen zu
warnen. Im nahegelegenen Wäldchen stellten wir uns unter
und konnten über uns die vorbeiziehenden Flugzeuge,
Kranichen gleich, sehen.
Die BdM-Mädchen
(Bund deutscher Mädels) führten zur allgemeinen
Belustigung kleine Theaterstücke auf, um die
Erholungssuchenden von den Wirrnissen des Krieges und die
Sorge um die Angehörigen abzulenken.
Guten
Morgen, Herr Doktor, sagte ein BdM-Mädel mit einem
Korb in der Hand. Ja, ziehen Sie sich erst einmal
aus, bekam sie zur Antwort. Das Mädel legt eine
Bluse ab. Ich wollte..., neuer Anlauf der
jungen Patientin. Ja, ziehen Sie sich erst einmal
aus, kam die stereotype Antwort des Doktors (Bdm-Mädel,
verkleidet). Ich wollte...., neuer Anlauf der
Patientin. Ja, ziehen Sie sich erst einmal
aus, schallte es wieder aus dem Munde des Doktors.
Die Patientin zieht ein weiteres Unterhemd aus. Ich
wollte.....
Nachdem,
dieses Spiel sich fortsetzte bis die Patientin nur
noch ein Unterhemd anhatte, liess der Doktor das Mädel
einmal ausreden und sie konnte fragen: Ich wollte...nur
fragen, ob Sie wieder ein paar Eier gebrauchen
könnten und zeigte auf den mitgebrachten Korb.
Von unserer Pension an der Bahnlinie gingen wir morgens,
an einer Windmühl und Kornfeldern vorbei, zu dem
Steilhang, der Blick auf die Ostsee freigab. Über
Holzstufen, versehen mit einem Geländer kamen wir in
Serpentinen hinunter zum Strand. Hier erwartete uns schon
der für die ganze Urlaubszeit reservierte Strandkorb.
Wenn sich im Laufe des Vormittags der Strand langsam
bevölkerte, es waren nur alte Männer, Frau und Kinder
am Strand zu sehen, wurden zunächst die
Strandburgen gebaut, um sich zu den Nachbarn
abgrenzen zu können, nach dem Motto: Dies hier ist
mein Reich.
Wenn aber jeden Morgen mit ziehender Lokpfeife die
Kleinbahn in den Horster Bahnhof einfuhr, um die mit
frischer Milch gefüllten Milchkannen abzuholen, war ich
vorher zur Stelle, um vom Kannenrand die paar Tropfen
Milch abzuschlecken. Das liess ich mir nicht nehmen und
wenn das Wetter noch so schlecht war.
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Auf einem
dieser morgendlichen Ausflüge zum Bahnhof und
zurück - meine Mutter und Onkel Hans hatten mich
wohl später erwartet - traf ich beide eng
umschlungen im Bett an. Für mich stürzte eine
Welt zusammen, gab es doch für mich nur zwei
Männer, die im Bett meiner Mutter sein durften:
ich und mein Vater. Ab diesem Moment beobachtete
ich sehr genau, was der Onkel Hans mit meiner
Mutter machte. Wahrscheinlich bin ich dann wohl
auch nicht nur wegen der Bombennächte öfter
nach Dessau gebracht worden. Meine Mami habe ich
trotz der lieben Beinah-Geschwister
sehr vermisst. Auch wenn sie jedes Wochenende mit
dem Zug nach Dessau kam, war ich doch immer
wieder traurig, wenn ich nicht mit nach Pankow
fahren durfte.
Foto: Peter
Wilhelm, Rostock, www.bahnen-in-pommern.de |
Meine Mutter war dienstverpflichtet, wie man so sagte,
wenn man einem wichtigen Betrieb als Arbeitskraft
zugeteilt wurde. So hatte sie in einem Lebensmittel-Geschäft
in Französisch-Buchholz zu arbeiten. In der
Nachbarschaft gab es einen Jungen mit einer Märklin-Eisenbahn.
Zu dem musste ich unbedingt gehen und fuhr deshalb gerne
mit meiner Mutter auf dem Fahrrad vorne im Kindersitz
nach Buchholz hinaus.
Im Mai 1945, die Russen standen nur noch einige Kilometer
vor Berlin, fuhr meine Mutter nochmals nach Buchholz, um
für die kommende ungewisse Zeit ein paar Lebensmittel zu
erhaschen. Als wir über die große Eisenbahnbrücke am
Pankow-Heinersdorfer Güterbahnhof mussten, hatten ein
paar alte Männer eine notdürftige Panzersperre aus
alten Strassenbahn-Waggons und etwas Schutt, mit
Eisenstangen vermischt, als Barrikade errichtet.
Lassen Sie bitte noch einen Spalt auf, ich fahre
nur nach Buchholz und komme gleich wieder zurück,
bat meine Mutter und fuhr mit mir die 4 km nach Buchholz.
Über uns flogen die russischen Aufklärer, die uns
sicherlich gesehen hatten und in der Lage gewesen wären,
uns wie fliehende Hasen abzuschiessen. Wir wurden jedoch
nicht angegriffen, erreichten Buchholz und kamen wieder
durch das letzte Schlupfloch durch die Sperre zurück in
unsere Wohnung.
Ein paar Tage später hörten wir für mich unbekannte
Geräusche. Es waren die Panzerketten der ersten
russischen Panzer, die auf der Kissingenstrasse vom
Kissingenplatz auf uns zurollten.
Die Frauen hatten alle vor Vergewaltigung Angst, die
jüngeren versuchten sich zu verstecken, die älteren
hatten sich als Uromis verkleidet und hofften, auf die
jungen Russen nicht appetitanregend zu wirken.
Ich schaute durch die kleinen Fensterscheiben der
Haustüre auf die Strasse und sah, wie die Russen
während der Fahrt von den Panzern absprangen, sich
Fahrräder besorgten, um dann nach missglückten
Fahrversuchen wieder von hinten auf die fahrenden Panzer
zu springen. Der nächste Panzer hat das auf der Strasse
liegende Fahrrad überrollt. Aber das war das kleinere
Übel.
In der Nachbarschaft haben ein paar SS-Leute ein Haus
verteidigen wollen, die Russen haben das Haus kurzerhand
von Panzern aus in Brand geschossen.
Die russische
Einheit, die unsere Strassenzüge besetzte, hatte
russische Pferde, Panjepferde, dabei. Unsere Wohnung war
im zweiten Stock innerhalb einer Wohnanlage der Gagfa in
Form eines Gevierts mit großem Innenhof, der über eine
Einfahrt in der Mitte der Sellinstrasse erreichbar war.
Die Russen
haben als zweites die Erdgeschosswohnungen besetzt, und
die Mieter mussten von den Bewohnern der oberen Wohnungen
aufgenommen werden. Wir bekamen Mutter
Ebeling, deren Mann nach 1945 im KZ Sachsenhausen
verstarb in das kleine Zimmer einquartiert. Sie wurde
schnell in die Familie aufgenommen.
Sehr
erbost waren die jungen Russen, als sie in den
Erdgeschoß-Wohnungen Kartoffeln in der Kloschüssel
waschen wollten und diese sich bei der Spülung
verabschiedeten. Sie dachten sofort an Spionage. Es
hätten auch Köpfe rollen können.
Die Russen brachten ihre Pferde in den Innenhof unseres
Häuserblocks, und wir Kinder hielten uns die meiste Zeit
bei den jungen Männern auf, die uns mit amerikanischer
Cadburry-Schokolade versorgten.Als eines
Tages ein Fohlen geboren wurde, warfen die Berliner
Frauen Decken aus ihren Wohnungen herunter, um bei der
Geburt zu helfen.War das eine Freude, ein junges
Pferdchen lebend zu sehen. Für uns Jungs waren ab da die
Russen keine Eindringlinge mehr.
In unserer Wohnung hatten wir natürlich ein Klavier, da
meine Mutter sehr gut, zwar nach Noten, Klavier spielen
konnte. Eines Tages kam ein junger Offizier in unsere
Wohnung und bat meine Mutter, etwas auf dem Klavier
vorzuspielen. Mutter begann mit Grieg und Beethoven. Es
stellte sich heraus, dass unser Captain aus
Kiew stammte und sich für die Greueltaten seiner
Landsleute schämte. - Wie wir später erfahren konnten,
wurde den russischen Soldaten versprochen, in Berlin die
Frauen vergewaltigen zu dürfen - . Er entschuldigte sich
für diese Taten und erklärte, dass dies mit der
russischen Seele nicht vereinbar sei.
Von da an kam er regelmässig in unsere Wohnung und meine
Mutter spielte seine Wünsche. Leider hatte ich nie die
Zeit, später einmal nach der Maueröffnung nach seinem
Verbleib zu suchen.
Hans Riekenberg hatte am Prenzlauer Berg ein
Lebensmittelgeschäft geführt, da die meisten
arbeitsfähigen Männer in der Gefangenschaft waren. Er
wohnte bei uns, da seine Wohnung in der Ostenderstrasse
auf dem Wedding abgebrannt war. Er schlief mit Mutter im
Ehebett, ich in meinem Kinderbett am Fußende. Da ich
immer schon um sechs Uhr ins Bett ging, bekam ich nicht
mit, was Hans Riekenberg von meiner Mutter wollte. In dem
kleinen Gästezmmer wohnte ja noch Mutter
Ebeling.
Hans Riekenberg war, wie gesagt, ein stattlicher und
starker Mann, was meiner Mutter wohl imponierte und als
männlicher Begleitschutz in diesen Tagen nicht verkehrt
war. Als Onkel Hans eines Abends aus seinem Laden kommt,
um auf der Wisbyer Strasse mit dem Fahrrad zu uns nach
Pankow zu fahren, wurde er von einem russischen Soldaten
angehalten, der ihm das Rad wegnehmen wollte, was Onkel
Hans aber nicht duldete.
Als der Russe seine Hand zur Revolvertasche bewegte,
streckte Onkel Hans ihn mit einem Faustschlage mitten ins
Gesicht nieder, natürlich nicht ohne vorher sich
vergewissert zu haben, dass kein weiterer Russe in der
Nähe war. Freudig, sein Fahrrad verteidigt zu haben,
strampelte er zu uns nach Pankow.
Nach der Kapitulation begann für uns alle die schlimmste
Zeit. Es gab kein Waser, kein Gas, kaum Strom und absolut
nichts zu essen. Wir waren froh, wenn meine Mutter
irgendwo ein paar Kartoffelschalen zum Auskochen
ergattern konnte. Als am Pankower Bahnhof einmal ein
zerschossenes Pferd lag, liefen alle sofort mit Messern
bewaffnet hin, um sich ein Stück Fleisch als Gullasch zu
bereiten.
Wasser gab es aus einer der zahlreichen Berliner
Wasserpumpen. Dort standen die Frauen und wenige alte
Männer mit Eimern und sonstigen Gefäßen an, um Wasser
zu pumpen und nach Hause zu schleppen.
Mehrmals fuhren wir zum Hamstern in die Umgebung von
Berlin mit der Eisenbahn, als wieder ein paar Züge
fuhren. Meine Mutter nahm mich überall mit, obwohl die
Fahrtmöglichkeiten sehr riskant waren.
Einmal hatten wir nur noch Platz auf den Holzbrettern an
den Stirnseiten der Einheitswaggons bekommen.
Wenn ich durch meine Beine sah, konnte ich die
durchflitzenden Schwellen der Eisenbahnschienen sehen.
Angst hatte ich keine, meine Mutter hielt mich ja fest.
Es wurde alles eingetauscht, was man entbehren und am
Leib tragen konnte. Wurde man mit gehamsterten
Lebensmitteln erwischt, hat die Volkspolizei
einem alles wieder abgenommen. Am Bahnhof in Groß-Kreuz,
am westlichen Berliner Ring gelegen, hatten wir unsere
Erdbeerkörbe in Nischen unter dem Bahnsteig versteckt.
Just in dem Moment, als der Zug schon in der Ferne
sichtbar war, kamen die Aufpasser und nahmen unsere
Körbe aus den Nischen mit. So knapp sind wir GottseiDank
nicht mehr bemopst worden.
Am Bahnhof Pankow hatten die älteren Jungs immer wieder
versucht, von Kohlewaggons die begehrten Briketts zu
stehlen. Beim Überschreiten der Gleise kam ein Junge an
die Stromschiene der S-Bahn und war sofort tot. Seine
Körperlänge war durch den Stromstoß auf die Hälfte
zusammengeschrumpft.
Eine weitere Hamsterfahrt brachte uns zu einem früheren
Kaffee-Kunden von Onkel Hans in die Region nördlich von
Berlin, zu einem Bäckermeister in Pasewalk. Er hatte
zwei hübsche Töchter, etwas älter als ich, in die ich
mich sofort verliebte. Bei einer anderen Fahrt landeten
wir in einem kleinen Dorf Kutz an einem der vielen Seen,
wo es nicht einmal eine elektrische Leitung in den
Häusern gab. Hier hatte es auch in Friedenszeiten keinen
Strom gegeben, so dass die Leute das elektrische Licht
nicht vermissten.
Im September 1945, ich war kurz vor dem sechsten
Geburtstag, hätte ich eingeschult werden sollen. Ende
Juli nahm mich beim Lebensmittelgeschäft Pichler am
Kissingenplatz ein Russlandheimkehrer in seinen
schäbigen alten Wehrmachtsklamotten auf den Arm, weil er
sich freute, wieder daheim einen Berliner Jungen drücken
zu können. Mir war das ganze unheimlich und unangenehm.
Nach 10 Tagen lag ich mit Fieber im Bett, der Heimkehrer
hatte mich mit Typhus angesteckt. Meine Mutter wollte
nicht, dass ich in das Krankenhaus gebracht werde, weil
sie den hygienischen Zuständen nicht traute. So wurden
in der Wohnung alle Türklinken umwickelt und mit
Desinfektionsmitteln bespritzt, das Schlafzimmer wurde
zum Krankenzimmer umfunktioniert. Die Kinderärztin gab
mir zwei ihrer letzten Spritzen gegen Typhus mit den
tröstenden Worten an meine Mutter: Weitere habe
ich nicht, entweder er kommt durch oder nicht.
Meine Mutter schaffte es, allerdings hatte sie sich auch
noch bei mir angesteckt. Onkel Hans war der einzige
Mensch, der uns nun pflegte.
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Nach sechs
Wochen im Bett, ich konnte vor lauter Schwäche
nicht einmal auf das Klo gehen, hatte ich die
Kraft, im Bett aufzustehen, einen Schritt
Richtung Bettende zu machen, um dann in mich
hineinzusacken. Mehr war nicht drin.
Die Zeit im Bett vertrieb ich mit viel Schlaf und
mit dem Anschauen aller Bilder im Brockhaus.
Meine Mutter erinnerte sich an die letzten
Libby-Büchsen mit süßer, dicker
Milch, Marke Milchmädchen aus
unserem früheren Laden und ich löffelte an zwei
Tagen drei große und eine mittlere Büchse aus.
Diesem Kraftfutter verdankte ich meiner Meinung
nach meine Auferstehung. In der
Nachbarschaft war ein Junge an Typhus gestorben.
Eingeschult werden konnte ich im September nicht
mehr.
Mutter und Sohn am 28.12.1945 |
In der
Nachbarwohnung lebte eine Restfamilie, die aus Frau
Sommerfeld und zwei Mädchen bestand. Sigrid und ihre
Schwester fuhren mich, nachdem ich mein Krankenbett
verlassen konnte, im Kinderwagen durch Pankow. Meine
ersten Gehversuche begannen im Krankenbett, nach zwei
zaghfeten Schritten Richtung Bettende fiel ich auch schon
in mich zusammen. Meine Mutter war deshalb froh, dass
mich die Mädels im Kinderwagen mitnahmen. Meist fuhren
Sie mit mir in den Pankower Bürgerpark. Anfangs lief ich
neben dem Wagen und wenn ich nicht mehr laufen konnte
und das war in den ersten Tagen nach ein paar
Metern setzte ich mich in das
Begleitfahrzeug und die Mädels schoben den
Wagen auf unserer Hausstrecke weiter. Ständiger
Begleiter war mein goldgelber Steiff-Teddybär. Wer uns
von den Erwachsenen sah, schüttelte den Kopf, dass ich
Fünfjähriger noch im Kinderwagen spazieren gefahren
wurde.
Abends in meinem Bettchen, lutschte ich an zwei Fingern
der rechten Hand bis zum Einschlafen, und das bis zum
fünften Lebensjahr. Meine Mutter ermahnte mich immer
wieder, nicht mehr zu lutschen, weil ich doch schon ein
großer Junge sei. So an die Ehe gepackt,
hatte ich es tatsächlich geschafft, von heut auf Morgen
nicht mehr zu lutschen.
Aber es gab eine Lutschnachfolge: Federn suchen. Ich nahm
jedes Kissen, was ich kriegen konnte, um zu prüfen, ob
da nicht ein paar starke Federkiele steckten, die ich
herausziehen konnte. Schnell hatte ich in der Wohnung
alle Kissen in positive und negative eingeteilt und
überall lagen die herausgezogenen Federn herum.
Sigrid hatte auch eine Marotte, sie brauchte, wenn wir
auf der Couch saßen, unbedingt ein Seidentuch zum rauf-
und runterfahren mit den Händen. Sie ließ die Seide
immer mit wachsender Begeisterung durch ihre Finger
gleiten. So saßen wir beide also öfter auf dem Sofa
friedlich nebeneinander, ich mit einem Kissen unter dem
Arm, Sigrid mit dem Seidenstoff. Wenn meine Mutter aus
dem Lebensmittelgeschäft kam, waren wir meist auf der
Couch anzutreffen.
Eines Tages hatten Sigrid und ich einen Ausflug gemacht.
Mich faszinierte schon immer die Eisenbahn, was ich wohl
von meinem Opa geerbt hatte. So liefen wir, Sigrid, mein
Teddybär und ich bis zur Eisenbahnbrücke Pankow-Heinersdorf,
wo zaghaft der Eisenbahnverkehr wieder in die Gänge kam.
Wir standen lange Stunden am Brückengeländer und
schauten auf die Bahn herab. Als es anfing, dunkel zu
werden, machten wir uns auf den Heimweg.
Bis zur Einschulung im September besuchte ich einen
Ganztagskindergarten mit Mittagsruhe und täglich einem
Löffel Lebertran in der Siedlung hinter der
Kissingenplatzkirche.
Von dort holte mich meine Mutter ab oder ich ging zum
Lebensmittelladen an der Ecke Kissingenplatz, wo sie
arbeitete und wartete sitzend am Straßenrand bis zu
ihrem Arbeitsende.
Es gab ja nur wenige Autos auf der Straße, und die
wurden meist von Schiebern gefahren. Als sich nun eines
Tages tatsächlich ein Wagen meinem Beobachtungsposten
näherte, nahm ich ein Steinchen und warf es dem
Schieberauto an die Seite. Ich sah, wie der Fahrer um den
Kissingenplatz fuhr und wieder auf dem Weg zu mir war.
Ich bekam Angst und rannte sofort in den Laden, wo meine
Mutter arbeitete und beichtete meine Missetat. Sie schob
mich in die hinteren Räume und schon stand der schwarze
Mann im Laden. Wo ist der Junge? Er hat meinen
Wagen beworfen. Da meine Mutter mich dem
aufgebrachten Menschen nicht ausliefern wollte, sagt sie:
Er sitzt auf dem Topf, er hätte sich vor Schreck
beinahe in die Hosen gemacht. Aber ich gebe ihm nachher
noch eine Tracht Prügel. Damit war der Mann
zufrieden und fuhr von dannen.
In der
Sellinstrasse konnten wir wunderbar spielen. Es gab keine
Autos, weder am Straßenrand noch fahrend durch die
Straße. Wir konnten Hopse spielen, aber am liebsten
Völkerball und das Spiel: Herr Fischer, Herr
Fischer, wie tief ist das Wasser?. Hierbei konnte
man seine Lieblingsfreundinnen vorrücken lassen und die
Nebenbuhler im Wasser stehen lassen, ohne das Ziel zu
erreichen.
Mein ganzer Stolz war ein Roller, den mir meine Mutter
besorgte. Er hatte sechs cm breite Eisenbänder als
Reifen und fuhr recht passabel. Nur Kurven musste man
vorsichtig fahren, denn die Eisenringe gaben keinen Halt
bei Schräglage. So habe ich mir auch einmal den Daumen
fast abgefahren, als ich einem Nachbarmädel meine
Fahrkünste vorführen wollte.
Wir waren den ganzen Tag auf der Strasse, spielten oder
rollerten, wenn das Wetter es zuliess. Die einzige
Abwechslung war der Müllkutscher mit seinen zwei
Rössern und hin und wieder ein Auto, das in der Strasse
gesehen wurde.
Eines Tages stand die ganze Jungenschar um einen
amerikanischen Straßenkreuzer herum, einem
Packard. Der gehört meiner Tante
Elfriede und ihrem Mann, sagte ich voller Stolz und
machte dadurch die anderen Spielkameraden nicht nur
neugierig sondern erst recht neidisch.
Tante Elfriede, die kleine Schwester meines Vaters hatte
in den Kriegsjahren einen Herrn Alfred Klimpel geheiratet.
Da sie nach dem Krieg nichts mehr von ihm hörte, hatte
sie sich einem Ehepaar Mürau mit Sohn Manfred, genannt
Manschi, angeschlossen. Herr Mürau war erfolgreicher
Schieber und hatte deshalb den Packard als Statussymbol.
Sie hatten meinen Opa, der in der Sellinstrasse 1 noch
eine Wohnung hatte, besuchen wollen. Deshalb stand also
der Wagen vor der Tür.
Tante Elfriede nickte mir kurz zu und lud mich ein, sie
auf dem Grundstück an der Wollankstrasse zu besuchen,
was ich auch einige Tage später tat. Das Grundstück,
riesengroß, war mit einer 2, 20 m hohen verputzten Mauer
umgeben. In den Mörtel der Mauerkrone waren zerbrochene
Flaschen eingebracht worden, damit keiner auf die Idee
kam, über die Mauer zu klettern. Offiziell bestand dort
eine Konservenfabrik für Obst. Interessiert schaute ich
die Erwachsenen, das Ehepaar Mürau und meine Tante
Elfriede an, die als Hosen nur seidene, durchsichtige
Slips anhatten. Das traute ich meiner sonst vornehm
wirkenden Tante gar nicht zu.
Eines Tages, ich spielte in der Wohnung gerade mit der
Märklin-Eisenbahn - Spur 0 - , die meine Mutter gegen
eine Schreibmaschine eintauschen konnte, klingelte es und
ein Herr stand vor uns. Es war Alfred Klimpel, der
Ehemann von Tante Elfriede. Edith, weißt Du, wo
meine Elfriede ist, in der Wohnung ist sie nicht?.
Lieber Albi, ich muss Dir leiden sagen- Du weißt
ja der Krieg und so -, sie lebt in einer
Schieberfamilie an der Wollankstrasse. Onkel Alfred
blieb nicht länger und zog fort. Später hörten wir,
dass er in Bilbao eine Hühnerfarm betrieb, wieder
heiratete und sich Don Alfredo Klimpelo
nannte.
Als Tante Elfriede in den fünfziger Jahren wieder
heiraten wollte, wäre er beinahe wegen Bigamie ins
Gefängnis gekommen, denn Onkel und Tante waren bis dahin
offiziell immer noch miteinander verheiratet.
Im September 1946 wurde ich endlich eingeschult,
der erste Tage mit Schultüte und für heutige
Verhältnisse dürftigem Inhalt. Zwei Tage war ich in der
Grundschule am Wasserturm Prenzlauer Berg, um
anschließend in die Schule an der Grunowstrasse am S-Bahnhof
Berlin-Pankow zu gehen.
Die Erinnerungen an diese Schule drehen sich in erster
Linie um meinen Russisch-Lehrer, Gosbodin Glebow, der aus
Weißrußland stammte und deshalb ein wenig Deutsch
verstand. Ich hatte mit ihm schon meine Schwierigkeiten,
weil ich ihn immer missverstand und nie wusste, wann ich
zur Tafel vorgehen sollte oder nur ermahnt wurde
wie sitzt Du da, was im Russischen ähnlich
klingt.
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Meine
Ehemaligen Klaus Braun und Heinz Meyer schrieben im Mai
2011 bei Stayfriends:
In
meiner damaligen klasse 5c 1951 trafen sich Herr Sasse
und Herr Glebow zum ersten Mal wieder, stutzten und
umarmten sich wortlos! Herr Sasse erzählte uns dann die
gesamte Geschichte was sich im 1. Weltkrieg ereignet
hatte. Herr Sasse musste dann noch, ich glaube 1954, nach
West-Berlin flüchten da er sich politisch nicht an die
Linie gehalten hat. Wir haben ihn sehr verehrt! Ich bin
am Ende der 7 Klasse mit meinen Eltern nach West-Berlin
umgezogen da ich im damaligen Ost-Berlin eine
Universität nicht hätte besuchen dürfen. Mein bester
Schulfreund war Karlheinz Köhler. Vielleich kennt den
noch jemand. Er war begabt aber durfte nach der 8 Klasse
nur Schneider werden.
Das größere Ärgernis für mich war jedoch Harald
Manthey, ein Mitschüler, der mich - aus welchen Gründen
auch immer - verhauen wollte. Ich musste immer höllisch
aufpassen und diesem Jungen aus dem Weg gehen. Als ich
mich dann aber intensiv um ihn kümmerte und ihn zuhause
besuchte, fand ich heraus, dass er es nicht mit ansehen
konnte, wie eine Mutter liebevoll mit ihrem Sohn umging,
eine Mutterliebe, die er von seiner Mutter leider nicht
erfahren durfte.
Von da an waren wir lange Jahre befreundet.
In der
Schule lernten wir natürlich auch die spätere
Nationalhymne Auferstanden aus Ruinen, was ja ein
sehr schönes Lied war und zu Berlin mit den
zerschossenen Häusern tatsächlich passte. So erinnere
ich mich daran, dass wir eines Vormittags mit unserer
Lehrerin zu einer Schutthalde an der Berliner Strasse
neben dem späteren Polizeirevier liefen. Hier haben die
Trümmerfrauen Steine gekloppt. Aus
Holzresten und Steinen hatten Sie eine provisorische
Werkbank errrichtet, auf der Sie
ähnlich einem langen Bügelbrett den alten Putz
von den Steinen im Reichsformat abklopften. Wir standen
im Schuttberg, der sich bis zu einer Anhöhe von 12 m von
der Strasse weg zur hinteren Grundstücksgrenze
auftürmte und sangen dieses Lied zur Erbauung der
Trümmerfrauen, die alle mit blaugrauen Kittelschürzen
und Kopftüchern bekleidet waren. An den Füßen trugen
sie einfache Sandalen, Lederschuhe gab es nicht mehr.
Nachmittags spielten wir am liebsten in den
Trümmerbergen oder in den Ruinen an der Prenzlauer
Promenade, wo ganze Häuserzeilen in Schutt lagen.
Zu meinem 7. Geburtstag am 10.11.1946, bei klirrender
Kälte und ungewöhnlich viel Schnee, wurde in der
Sellinstrasse und in anderen Strassenzügen jeder zweite
Baum gefällt und das Holz an die Bewohner verteilt, da
es keine Möglichkeit gab, Brennmaterial für die
Kachelöfen in den Wohnungen zu erhalten. So musste jeder
zweite Baum als Energiespender herhalten. In den 60er
Jahren wurden die Baumlücken nachgepflanzt, was man
heute an den verschiedenen Baumstärken noch ersehen kann.
Mein Vater
hatte es im Krieg relativ gut erwischt. Anfangs wurde er
nach Posen versetzt, wo Meine Mutter ihn einmal mit mir
besuchte, dann kam er zur Luftwaffe als Bodenbeobachter,
wahrscheinlich wegen seiner Englischkenntnisse, falls es
mal einen englischen Funkspruch zum Abhören gegeben
hätte.
So war er dann von 1943 bis zum Kriegsende auf der Seiser
Alm in Südtirol auf einer Skihütte, schaute im Sommer
in den Himmel, um anfliegende Langstreckenbomber nach
Berlin zu melden, im Winter konnte er Schifahren, wie
zahlreiche Aufnahmen von ihm belegen. Im großen und
ganzen hatte er es weitaus besser als wir in den
Kriegsjahren und danach. Zum Kriegsende kam er in
englische Gefangenschaft und hatte das Glück, als Geiger
in einer Kapelle des englischen Militärsenders in Graz
bis zu seiner Entlassung spielen zu dürfen. Hatte stets
genug zu essen, für ihn war der Frieden ausgebrochen.
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Vierter
von links, Berthold Jetschke |
Dritter
von links Berthold Jetschke |
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Eines Morgens,
Anfangs Februar 1947 wurden wir, Onkel Hans, meine Mutter
und ich um 5 Uhr von einem Autogeräusch aus unserem
Schlaf geweckt. Wir schauten aus dem Fenster und sahen
einen Jeep, dem mein Vater zusammen mit einem
Kinderwagenuntergestell und vielen kleinen Kisten
entstieg.
Ich weiß nicht, bei wem die Wiedersehensfreude am
größten war, bei meinem Vater, meiner Mutter oder Onkel
Hans. Zunächst beäugten wir neugierig die Dinge, die
mein Vater in seinem Reisegepäck hatte. Der größte
Anteil waren 1000 paar amerikanische Lederschnürsenkel,
deren Verwendungsmöglichkeit uns nach Jahren noch nicht
eingefallen war.
In unserem kleinen Zimmer hatten wir noch die Tochter
Ursula von Onkel Hans aufgenommen. Sie war im Krieg in
den Raum Würzburg evakuiert gewesen und kam, da die
elterliche Wohnung in der Ostenderstrasse teilausgebombt
war, zu uns nach Pankow, wo sie mit einer
Lehrerausbildung für die Weddinger Grundschule begann.
So gab es für meinen Vater keine andere Möglichkeit,
als das Doppelbett in unserem Schlafzimmer mit meiner
Mutter und Onkel Hans zu teilen, wobei meine Mutter in
der Mitte lag, um das eventuelle Schnarchen der beiden
Männer durch Püffe nach beiden Seiten rechtzeitig
unterbinden zu können. Denn wenigsten ich brauchte ja
eine ungestörte Nachtruhe. Was mein Vater sich bei
diesem Dreiecksverhältnis dachte, habe ich nie aus ihm
herausfinden können.
Für einige Zeit wohnte in unserem Wohnzimmer die Mutter
von Onkel Hans, da die Wohnung in der Lynarstrasse auf
dem Wedding nicht zu heizen war. Furchtbar röchelnd
ich musste das Wohnzimmer, indem ich so gern auf
dem Teppich mit meiner Eisenbahn spielte schlief
sie ein und wenig spätre wurde ein Sarg in unsere
Wohnung gebracht, der dann samt der Oma wieder verschwand.
Weihnachten und Sylvester war immer ganz besonders schön.
Zu Weihnachten bekam ich ein paar Süßigkeiten, die
Onkel Hans in Westberlin ergattern konnte. Ursula hatte
dann zu Sylvester ihre drei Freundinnen aus der Nestle-Zeit
eingeladen, es wurden Papierhüte aufgesetzt, man
unterhielt sich mit Pfänderspielen und meine Mutter
spielte schwungvolle Lieder. Zu vorgerückter Stunde
musste mein Vater zur Gitarre das Lied von der
Krummen Lanke singen. Irgendwann gab es immer
die Bitten der drei Mädels Ursula, Meta und Edith:
Holdi, spiel doch noch einmal das Lied von der
Krummen Lanke, bitte, bitte!. Und so sang mein Vater das
Lied, das eigentlich sein Schicksalslied wurde.
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Geburtstag
Oma Werth 1948 |
Sylvester
1948 in Pankow |
Mit
Jutta Riekenberg |
Tante
Monika 1949 |
Hannelore |
In den
Sommerferien 1948 und 1949 wurde ich noch ein paar Mal
nach Dessau zu meinen Halbgeschwistern
geschickt. Es war immer eine schöne Zeit, wenn wir mit
einem Bollerwagen unterwegs waren, um Pferdeäpfel als
Dünger für das Grundstück der Großeltern zu holen. An
der Autobahn Berlin- München gab es zwei Seen, die durch
den Kiesabbau während des Autobahnbaues entstanden waren.
Wir gingen beinahe jeden schönen Badetag zu Fuß
westlich von Dessau zu einer kleinen Eisenbahnlinie und
auf einem Parallelweg zum kleinen Autobahnsee, der
inzwischen beinahe verlandet und eingezäunt ist. Dort
badeten wir und gingen, wenn wir noch nicht zu müde
waren, auf der Autobahn zur Adria, dem
großen Autobahnsee zwischen Dessau und Wörlitz. Das war
natürlich der schönere See. Mit weißen Umkleidekabinen
machte er seinem Namen Ehre. Auf der Autobahn konnten
noch keine Autos fahren, da die Brücken über Elbe und
Mulde noch zerstört waren.
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Renate, Omi, Cornelia, Vater Michalak,
Monika Cornelia
Doris, Bodo
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Renate, Cornelia, Felicitas, Monika
Doris, Bodo
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Als wir wieder
einmal von Dessau nach Berlin im Zug fuhren, standen wir
im Waggon oder saßen auf dem Koffer, denn der ganze
Waggon bestand nur aus der Außenhaut, eine Möblierung
fehlte, die Trennwände waren nicht mehr vorhanden.
Wahrscheinlich war das Innenleben verheizt worden. Den
Anblick dieses nackten Waggons werde ich nie vergessen.
Ein paar Monate später zog die Familie meiner Oma nach
Berlin-Pankow in die Mühlenstrasse, weil mein Opa vorher
eine Arbeitsstelle in Berlin gefunden hatte und
zwischenzeitlich mit seiner Zimmerwirtin ein inniges
Verhältnis angefangen hatte. Meine Oma war ihm auf die
Schliche gekommen und hatte dann in einer Nacht- und
Nebelaktion die sechs Kinder nach Berlin verfrachtet und
dieser Frau im Hausflur ihrer Wohnung den Marsch
geblasen.
So ganz konnte er es mit der Mina nicht lassen, wie sich
später herausstellte.
Meine Oma Adelheid Michalak, mein Stiefopa Willi und die
Kinder Cornelia, Renate, Bodo und Doris wohnten nun in
Pankow, Mühlenstrasse 2 a, in einer sehr geräumigen
Wohnung.
Die größeren Kinder, Felicitas und Monika hatten in
Stetten am kalten Markt zwei gut aussehende französische
Besatzungssoldaten kennengelernt und später geheiratet.
Leider war meine Oma Adelheid mit der Hauswirtschaft
vollkommen überfordert. Die größeren Kinder fehlten
zur Mithilfe im Haushalt, ein Kindermädchen wie im
dritten Reich gab es nicht mehr. So war es ein Schrecken,
in die Wohnung zu kommen. Begrüßt wurde man nach
Eintritt durch die Wohnungstür durch Wäschestücke auf
Leinen, die zum Trocknen im langen Flur wie Fahnen bei
besonderen Festen von oben herunterhingen. Hatte ich den
Weg durch das Wäschelabyrinth zur Küche gefunden, wäre
es eine Überraschung gewesen, wenn in der Küche nicht
der Abwasch vieler Tage gestanden hätte.
Und sie hatten wirklich viel Geschirr.
Mein Opa saß im vordern Zimmer zur Straße hin und
hörte klassische Musik im Radio, ohne sich von den
Bewegungen in der Wohnung stören zu lassen.
Ich konnte verstehen, dass er bei diesem Durcheinander
nur noch für sich lebte. Wenn Monika zu Besuch kam,
später aus Frankreich, hatte sie einige Tage zu tun, bis
alles einmal auf Vordermann gebracht wurde.
Im Sommer
hatten wir es viel angenehmer, denn da konnten wir als
Laubenpieperim Schrebergarten der nun
verstorbenen Eltern von Onkel Hans wohnen. Die Laube war
vielleicht 12 qm groß und hatte außerhalb eine
Wasserpumpe und ein Plumpsklo. Hier wohnten wir wieder zu
dritt, denn Ursula konnte in der wärmeren Jahreszeit
wieder in der Ostenderstrasse wohnen. Das schönste waren
jedoch unsere Karnickel, die mein Vater im Winter im
Keller in der Sellinstrasse großzog und die im Sommer
ebenfalls mit uns auf dem Gartengrundstück lebten. Das
Nachbargrundstück, ein Trümmergrundstück, war wild
bewachsen, hier konnte ich mit den Nachbarjungens prima
Räuber und Gendarm spielen.
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1950
mit Hasen im Garten |
Im
Garten September 1949 |
Im Garten
Ostern 1949 |
Im Jahr 1949
war die Wohnung in der 3. Etage der Ostender Strasse 3
soweit hergerichtet, dass meine Stiefschwester Ursel
Riekenberg in der Wohnung notdüftig wohnen konnte. So
erkundete man natürlich auch die nähere Umgebung, da
wir ja sonst nur von der Strassenbahn-Haltestelle in der
Tegeler Strasse direkt zum Garten gingen, Spaziergäne in
der Stadt waren uninteressant, da es ja nicht mal genug
Autos zu sehen gab.
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Ostender
Strasse 3 |
Die
Müllerstrasse im September 1949 |
Im Nebenhaus
wohnte Jung-Schauspielerin Karin Baal |
Im Jahre 1951
konnte meine Mutter die komplette Märklin-Eisenbahn mit
vielen Waggons und einem herrschaftlichen Bahnhof der
Spur 0 gegen eine Märklin H0 Lokomotive beim Spielwaren-Obst
am Bahnhof Wedding eintauschen. Was habe ich mich gefreut.
Nun spielte ich mit meiner Lokomotive und einer Schiene
jeden Nachmittag die Einweihung der Lokomotive mit bunten
Stofffäden aus der Nähkiste. Da wir nur Ostgeld
besaßen, dauerte es sehr lange bis ich einen kompletten
Kreis zusammen hatte, eine Schiene kostete 1,75 DM (West).
Billiger waren da schon die Wiking-Autos, mit denen wir
jeden Nachmittag im Sommersitz der Laube spielten. Es gab
einen Straßenplan, von Jahr zu Jahr mehr Autos und unser
Lieblingsspiel war die Spedition. Ich hatte
die Aufgabe, eine Spedition aufzubauen, wobei durch
Aufträge des Spielpartners, der einen Autohandel betrieb,
der Fuhrpark immer größer wurde. Wenn der Autohändler
keine Fahrzeuge mehr zum Verkauf hatte, hörten wir mit
dem Spielen auf. Interessant war das Spiel für mich nur,
wenn ich durch Dienstleistung meinen Fuhrpark
vergrößern konnte.
In der sechsten Klasse hatten wir einen ewigen
Sitzenbleiber bekommen, der zwei Jahre älter als wir
waren. Ich war zwar wegen meiner späteren Einschulung
meist der älteste, aber der kleinste in der Klasse.
Dieser Sitzenbleiber musste natürlich alles erzählen,
was er über Mädchen von anderen gehört hatte und in
seinen Fantasien hatte er schon so viele Mädels gehabt.
Auf Grund seiner genauen Bechreibungen waren wir nun
neugierig geworden, was uns bei den Mädchen so erwarten
könnte. So wurden die Onkel-Doktor-Spiele
mit Helga aus der Kissingenstrasse immer intensiver, was
bei ihr nicht ohne Folgen blieb. Eines Tages überraschte
uns mein Vater, als wir auf der Couch im Wohnzimmer lagen.
Er konnte sich wohl denken, wo unsere Spielereien
hinführen würden.
Durch die Kriegsjahre und der Gefangenschaft hatte ich zu
meinem Vater nicht das Verhältnis, das man als Sohn
haben könnte. Für mich war er ein fremder Mann, als er
aus der Gefangenschaft kam. Ich wollte partout keine
Ermahnungen von ihm annehmen und wies ihn ab. Als dies
meinem Vater einmal zu viel wurde, trieb er mich ins
Badezimmer und verhaute mich mit einem großen
Wäschelöffel aus Holz so derb, dass ich mich in die
Badewanne flüchtete.
Meine in diesem Moment heimkehrende Mutter hatte für
diesen Ausraster meines Vaters kein Verständnis, da ja
keiner ihren Sohn schlagen durfte, nicht einmal der
leibliche Vater. Hatte sie mich doch über den Typhus
gerettet; da war ihrer Meinung nach die körperliche
Gewalt kein Erziehungsmittel.
Diese Badewannenattacke habe ich meinem Vater viele Jahre
nicht verzeihen können.
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Eines
Frühjahrs fuhren wir mit der Eisenbahn nach
Malchin, wo die Tochter und der Schwiegersohn von
Oma Werth wohnten. Dort fanden wir bei einer
netten älteren Dame unseren Purzel,
ein rotbraunes Langhaardackelmädchen von 8
Wochen. Purzel wurde gekauft und es war
natürlich mein Hund. Zuhause angekommen, Oma
Werth saß auf der Ofenbank im Wohnzimmer, Purzel
auf ihrem Schoß, legte ich meinen Kopf an Purzel,
wie dieser schlief. In einer Abwehrreaktion biß
mich Purzel in die rechte Backe, so dass man
lange Zeit die Narben von sechs kleinen Zähnen
sehen konnte.
In meiner Wut schrie ich natürlich, dass ich
Purzel nie mehr sehen wolle. Das war natürlich
recht schnell vergessen.
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Mein
Vater hatte vor, mit mir nach Merseburg zu meinen
Großeltern und zu Onkel Walter und Tante Lotte, seiner
Schwester, zu fahren. Da ich schon gut Fahrrad fahren
konnte, meinte er, dass wäre doch eine schöne Tour, so
zwei Tage bräuchten wir vielleicht schon für die 180 km,
ich war gerade 12 Jahre alt.
So wurde an das schräge Rahmenrohr vom Fahrrad meiner
Mutter unterhalb des Sattelrohrs ein kleiner Kindersattel
angeschraubt, den es nur in der Nachkriegszeit mangels
Kinderräder gab. So konnte ich wenigstens im Sitzen
fahren.
Die Räder hatten natürlich keine Gang-Schaltung.
Mein Vater wusste, dass Merseburg südlich von Berlin lag.
So fuhr er mit mir vom Wedding über Moabit, Tiergarten,
Schöneberg, geradewegs südlich nach Lichterfelde. Die
Wohnhäuser und Strassen waren schon hinter uns, als wir
ein Schild vor einer Wiese sahen: Sie verlassen den
amerikanischen Sektor in vier Sprachen. Na,
da sind wir ja schon raus aus Berlin, sagte mein
Vater. Als wir uns dem nächsten Gebüsch näherten,
wackelte dieser, als wollte er uns begrüßen. Wo
kommen Sie her, wo woll`n Se hin?, fragte uns der
erste Volkspolizist im sächsischen Dialekt, als er aus
dem Gebüsch kam. Ohne eine Erklärung abgeben zu können,
wurden wir in ein Polizeiauto verfrachtet und nach
Beelitz auf das Polizeirevier gebracht. Dort mussten wir
alle unsere Sachen aus den Gepäckstücken nehmen,
vorzeigen und wurden einzeln verhört. Ich glaube, die
Geschichte, dass ein Vater mit einem so kleinen Jungen
nach Merseburg radeln wollte, haben Sie meinen Vater
nicht abgenommen.
Weil es schon spät abends war, übernachteten wir, ich
zum ersten Mal, in einem Gasthof, mit weißen Betten und
am Morgen einem schönen Marmeladen-Frühstück. Von
Beelitz fuhren wir auf der Bundesstraße 2 nach
Wittenberg. Alle paar Stunden sahen wir mal ein Auto. Wir
waren fast allein auf der Strasse. Wurde die Strasse
hügelig, fuhr ich im Zickzack-Kurs die Strasse hinauf,
um nicht absteigen zu müssen. Am späten Abend sahen wir
die Umrisse von Merseburg, die Türme des Doms und die
Saale.
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110 km war
mein Vater an diesem Tag mit mir per Fahrrad unterwegs
gewesen und ich war erst knapp 11 Jahre alt.
Wir wohnten bei Lippolds in der Geusaer Straße, das Haus
wurde gerade umgebaut, eine Leiter führte von außen in
das Dachgeschoß und meine Cousine Rosel hatte einen Gips
am Bein.
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1950
mit Rosel |
Opa,
Oma mit Lippolds in der Gärtnerei |
1947,
Silberhochzeit Opa Jetschke mit Erna |
Vater
und Tochter |
Wir besuchten
meine Großeltern, den Gotthardteich und den Merseburger
Dom. Nach Berlin fuhren wir allerdings mit der Bahn
zurück und nahmen unsere Drahtesel ebenfalls mit. Der
Merseburger Bahnhof war mehr eine Ruine, die Bahnsteige
bestanden aus Holzböden. Aber der Zug schaffte die
Stecke nach Berlin schneller als wir mit dem Fahrrad von
Berli nach Merseburg.
Zur Schule in Pankow, fuhr ich im Sommer, wenn wir auf
dem Wedding wohnten, immer mit der Straßenbahn, die
direkt an unserer Laubenpieper-Anlage vorbeifuhr und
über Nettelbeckplatz zur Wollankstraße und nach Pankow
fuhr.
Mitte Juni 1953, ich saß in der Straßenbahn Richtung
Wollankstraße, fuhr die Straßenbahn nach dem letzten
Halt vor dem S-Bahnhof Wollankstraße, der Bezirksgrenze
zwischen Pankow und Wedding, plötzlich nicht mehr weiter.
Es hieß, im Ostsektor wäre ein Arbeiteraufstand, man
könne nur zu Fuß über die (damals noch) nicht zu
sehende Grenze.
Ich versuchte dennoch zur Schule zu gelangen und sah auf
der Florastrasse einige Menschengruppen mit Transparenten
und viel Polizei. Intuitiv fuhr ich wieder zurück zu
unserem Garten, um meiner Mutter zu erzählen, was ich
gesehen hatte. Am Nachmittag wurde die Grenze zum ersten
Mal in der Geschichte Berlins dicht gemacht. Meine Mutter
beschloß deshalb, im Westen zu bleiben, man ahnte ja
nicht, dass die Grenze nur vorübergehend geschlossen war.
Meine Mutter hatte meinen Vater gefragt, ob er mit in den
Westen wolle. Mein Vater hing jedoch sehr an der Wohnung
in der Sellinstraße und blieb deshalb im Osten.
Damit hatten sich meine Eltern ohne viel Federlesens
zunächst räumlich - getrennt.
Mein Vater schwärmte ja für Ursula, die aber leider zu
groß für ihn war. Am liebsten hätte er Ursula
geheiratet, als er sah, dass er meine Mutter an Onkel
Hans verloren hatte.
Als
meine Mutter zur Überzeugung kam, dass die Ehe nicht
mehr zu halten war, zauberte sie für mich zwei weitere
Verehrer aus dem Zylinder, die sie mir nacheinander
vorstellte.
Der erstere war Automobilverkäufer bei Hanomag in
Braunschweig und hieß Nikolaus. Vom zweiten weiß ich
nur, das er etwas mit dem Boxclub auf dem Gesundbrunnen
zu tun hatte. Heute würde man sagen, er wäre vielleicht
Promoter gewesen. Meine Begegnung mit ihm allein war
schließlich ein Boxtraining in einer alten, teils
kaputten Sporthalle am Bahnhof Gesundbrunnen. Mit meinen
kleinen Fäusten sollte ich immer auf einen ausgestopften
Sack dreschen und dabei mit der Nase schniefen wie ein
anstürmender Stier. Das war mir meine Mutter aber
dennoch nicht Wert, Ihr zuliebe den wilden
Boxenthusiasten zu spielen. So wurde diese mögliche
Verbindung nicht weiter verfolgt.
Meine Mutter hatte sich wohl genau überlegt, welcher von
den drei Aspiranten ihr wirtschaftlich das meiste bieten
konnte. Wir wohnten ja offiziell noch in Ostberlin, die
anderen drei Kandidaten in Westberlin, hatten also
Westgeld im Portemonnaie.
Meine Mutter entschied sich für Hans Riekenberg.
Recht bald ging sie dann mit meinem Vater
miteinander untergehakt wie ein Liebespaar - auf das
Amtsgericht Pankow in der Kissingenstrasse, um die
Trennung amtlicherseits vollziehen zu lassen.
Wer soll das Sorgerecht für den Sohn erhalten?
fragte der Scheidungsrichter. Meine Frau,
erwiderte mein Vater. Wer behält die Wohnung?
und das war in Zeiten der Wohnraumbewirtschaftung
die wichtigere Frage Mein Mann,
entgegnete meine Mutter. Und was ist mit dem
Hausrat? kam als nächste Frage. Bleibt bei
meinem Mann. Ja, sagte der Amtsrichter,
so etwas habe ich noch nicht erlebt, da lassen Sie
sich scheiden?. Im Nu war die Ehe geschieden.
Mein
Vater hatte, abgeschaut wahrscheinlich bei seinem Vater
damals, in der Berliner Zeitung im Herbst 1953 inseriert,
dass er eine Frau zwecks Heirat suche. Es hatten sich
weit mehr als fünfzig Frauen auf sein Inserat hin
gemeldet. Die meisten Männer kamen aus dem Krieg nicht
zurück und so gab es einen enormen Frauenüberschuß.
Das große Plus war, mein Vater hatte eine eigene Wohnung,
die die Nachfolgerin nicht mit der Exfamilie teilen
musste, mein Vater hatte Arbeit.
So saßen wir dann, meine Mutter, mein Vater, Onkel Hans,
Ursula, Purzel und ich eines Abends in der Ostender
Strasse am runden Tisch und sortierten die Bewerbungen
der Heiratskandidaten. Mein Vater hatte bei der
Durchsicht der Bewerbungen (bitte Foto beilegen !) nicht
nur auf die Gesichtszüge der Damen geachtet sondern wohl
noch mehr auf den Jahrgang. So hatte er einen kleinen
Haufen von beschriebenen Blättern jüngerer Damen zu
sich genommen. Holdi, sagte meine Mutter, so
junge Mädchen sind nichts für Dich, nimm lieber etwas
Passendes und schob ihm drei Bewerbungen von
intelligent aussehenden Damen unter die Nase. Der
erlauchte Kreis beschloß sodann, Vater möge sich
nacheinander mit den Frauen treffen und die Auserwählte
mir in der Wohnung in Pankow vorstellen.
Unter diesen drei Frauen war auch die Bewerbung von Frau
Charlotte Schottke aus Krakau am See, ledig ohne Anhang.,
Geburtsjahrgang 1908, damit vier Jahre jünger als mein
Vater, wie in seiner Heiratsanzeige gefordert.
Wochen später, ich war wie an jedem Dienstag bei meinem
Vater zum Schachspiel, klingelte es. Vater geht mit den
Worten zur Tür, das wird wohl Frau Schottke
sein. Wenig später stand eine nette Dame in einem
roten Kleid vor mir mit einem Ausschnitt, der einen Blick
auf die etwas zu große Warze am Brustansatz ermöglichte.
Aus meinen Doktorspielen, Mädels anschauen und
Gesprächen der älteren Schulkameraden wusste ich
allerdings schon, auf welche Formen man Mann bei einer
Frau achten müsste. Und die waren bei der Frau Schottke
vorhanden, wie mein Vater und ich feststellten. So war
das offene Zeigen des kleinen Schönheitsfehlers auf der
Brust taktisch sehr gut, denn andere Fehler waren nicht
zu entdecken. Um mir zu zeigen, wie elastisch sie noch
war, spielte Frau Schottke auf dem ausgezogenen runden
Wohnzimmertisch mit mir Tischtennis, derweil mein Vater
nun uns beäugte, wie sie sich mir gegenüber verhalten
würde. Mein Vater spielte noch etwas Klavier und so ging
Frau Schottke nach dem Abendessen nach Hause. Na,
mein Sohn, wie findest Du denn Frau Schottke?,
fragte mich anschließend mein Vater. Ach,
sagte ich, Vati, die kannst Du heiraten.
Charlotte Schottke war in Danzig geboren, der Vater war
Schriftsetzer. Nach der Realschule (englich und
französisch konnte Charlotte noch mit
95 Jahren lesen und übersetzen). In der Vorkriegszeit
war sie Hilfslehrerin in Danzig. Nach der Vertreibung
lebte sie mit Ihrer Mutter "Clärchen" in
Krakow am See und hatte großes Interesse nach Belin zu
komen. Dies war aber wegen der zuzugsbeschränkung am
einfachsten nur durch Heirat möglich. Deshalb hatte sie
sich auf Anraten einer Freundin aus Berlin aufgerafft,
auf meines Vaters Inserat zu reagieren.
In Berlin war sie dann Sekretärin beim Intendanten der
Staatsoper Berlin, Unter den Linden, damals Ostberlin.
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Ich
war natürlich zur Hochzeit eingeladen, ebenso meine
Mutter, Onkel Hans und Ursula. Als Charlotte Schottke vor
dem Standesbeamten ihren Personalausweis zeigen mußte,
fiel meinem Vater auf, dass der Jahrgang richtigerweise
1906 statt 1908 war, der Altersunterschied nur zwei Jahre
betrug.
Aber da war es schon zu spät, meinen Vater hatte es auch
weiterhin nicht gestört.
Aus Opas Erzählungen wissen wir, dass sich Oma Erna zwei
Zentimeter größer gemacht hatte, um den
Wunschvorstellungen meines Opas zu entsprechen. So
wiederholte sich alles im Leben der beiden Männer. Jeder
Teil meiner Eltern begann nun ein neues Leben.
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Berthold
(30.06.1904), Charlotte Jetschke (06.12.1906) |
Hans (02.02.1888),
Edith Riekenberg (31.12.1913) |
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